Ein leibhaftes Leben gestalten

Der Unterschied zwischen Verkörpert Sein und dem Formen eines leibhaften Lebens
Stanley Keleman


Das verkörperte Leben ist ein Leben der Morphogenese, ein Prozess ständiger Veränderung somatischer Formen.  Unser Soma und die Morphogenese in einem verkörperten Leben wahrzunehmen undzu erfahren, stellt jedoch nicht das dar, was ich ein leibhaftes Leben nenne.
Der Formungsprozess des Körpers ist der innerste Kern belebter Existenz.  Der Leib verändert seine Form unwillkürlich indem er einem ererbten Entwicklungs- und Anpassungsprogramm folgt. Er verändert seine Form ebenfalls durch die Anwendung willentlichen Einsatzes: so lernt er zum Beispiel gehen, sprechen, lesen und schreiben. Die Fähigkeitzu willentlichem Einsatz erfordert die Kooperation von Muskeln und Kortex.  Der Kortex bildet neuronale Kartierungen muskulärer Aktivität und erinnert sie. Das unwillkürliche muskuläre System in Verbindung mit dem Kortex lässt die Entwicklung willentlichen muskulären Einsatzes zu.  Willentlicher muskulärer Einsatz erlaubt dem Organismus, seine ererbten Verhaltensmuster zu differenzieren.  Dieser willentliche differenzierende Einsatz besteht in einer Abstufung von Muskeleinsatz und -tonus, der die Intention und das Ergebnis ererbter Akte verändert.  Die Fähigkeit, muskulären Tonus zu beeinflussen und ein ererbtes Handlungsmuster zu verändern, ist der wichtigste evolutionäre Schritt, der hominides Verhalten in menschliches verwandelt hat. 
Die Fähigkeit, programmiertes Verhalten zu verändern, ist die Grundlage der Entwicklung willentlichen Selbstmanagements und der Bildung alternativer Verhaltensweisen gegenüber ererbten. Diese Fähigkeit von Kortex und Muskulatur, neues Verhalten und Erfahrungen, die vorher nicht existiert haben zu kreieren, macht den Unterschied zwischen einem verkörperten Leben und der Formung eines persönlichen leibhaften Lebens aus. Durch willentliche Morphogenese lernt der Organismus, sein ererbtes Verhalten zu beeinflussen und wiederholbare Erinnerungsstrukturen zu bilden, und zwar durch die Art und Weise, wie er neue Ausdruckmuster formt, sie wieder aufruft und beeinflusst. Willentliche Morphogenese erfordert willentlichen muskulären Einsatz und schafft so ein persönliches Lebensfeld, das auch persönliche Bedeutung und gesellschaftlichen Wert hat.  Dies ist es, was ich als leibhaftes Leben bezeichne. 

Das Leben des leibhaften Prozesses hängt vom Gebrauch willentlichen Einsatzes ab, mit dem Ziel Erfahrungen zu erzeugen und Erinnerungen der Beziehung des Leibes mit sich selbst zu bilden. Dieses Erinnern ist ein anatomischer Prozess, der als "ich kann dies tun", als "ich kann ein persönliches Verhalten organisieren, das sich von meiner ererbten reflexhaften Reaktion unterscheidet," erfahren wird. Willentlicher muskulärer Einsatz fördert die Entstehung von Erregungsmustern und ist in der Lage, diese dann einzukörpern, indem er neue Ausdrucksmuster schafft.  Auf diese Weise fällt der Organismus nicht in alte reflexhafte Reaktionsmuster und ist in der Lage eine persönliche somatische Realität zu organisieren. So beeinflusst er die benötigte Weise spezifisch leiblich präsent zu sein.  Dies ist eine ständig weiterführende Schulung verbunden mit dem Verlangen, eine autobiographische formative Identität zu bilden.
Ein leibhaftes Leben zu führen ist ein formativer Prozess.  Es istfür den Organismus unbedingt erforderlich, willentliche motorische Akte zu entwickeln, um das Formen eines persönlichen somatischen Erregungsfeldes zu fördern.  Dieses körpert unwillkürliche und willentliche somatische Erfahrungen wieder ein und bildet Verhaltensmuster, die bisher nicht programmiert waren. Dies erfordert, dass jede Person sich bemüht, im Laufe der Zeit feine motorische Fertigkeiten zu entwickeln,  um reflexhafte motorische Muster zu neuen Ausrucksmustern zu differenzieren, die dann zu neuen inneren und äußeren Beziehungen führen. Diese Verhaltensmuster und Beziehungen erzeugenund entwickeln dasLebensfeld des Soma sowie eine motorisch emotionale kognitive Lebendigkeit, die aus Erregung besteht.  Willentlicher Einsatz ist nicht mentale Willensstärke.  Es ist muskulär-neuronaler Einsatz, der anatomische Morphogenese herbeiführt. Dieser schenkt die auf Erfahrung beruhende Wahrnehmung vergangener und gegenwärtiger Erregungsereignisseund -möglichkeiten. Diese können dann zum Bestandteil eines persönlichen einverleibten Verhaltens werden.   
Ein leibhaftes Leben erfordert willentlichen muskulären Einsatz, der die ererbten somatischen Verhaltensformen beeinflusst - so wie etwa ausgreifen, näher kommen, sich zurückziehen. Dies erzeugt motorische Empfindungen, Gefühle und kognitives Feedback.  Willentlicher muskulärer Einsatz mobilisiert alte muskuläre Erinnerungsstrukturen und organisiert neue Handlungen.  Dieses konkrete Tun hilft dem Organismus dabei, sein ererbtes Leben zu transzendieren.  Damit wird der Organismus zum Urheberdes eigenen leibhaften Schicksals im Sinne eines persönlichen Lebens.
Der Formungsprozess hat vier organisierende Phasen: die motile, quecksilberhafte kurzlebige Phase; die poröse formbare Phase, in der schwache, zarte Stabilität auftaucht; die festere halb-rigide, verlässliche, wiederholbare Phase; und die am wenigsten veränderbare verdichtete komprimierte Phase. Diese Phasen sind unwillkürliche somatische Formen als Teil eines Entwicklungskontinuums, das durch willentlichen Einsatz beeinflusst und differenziert werden kann. So kann eine semi-rigide formbare und fokussierte Struktur, ein pulsatorisches muskulär-synaptisches Lebensfeld von Lebendigkeit und Erregung organisiert werden. Das Engagement in willentlichen muskulären Einsatz, um unsere Erfahrung einzuverleiben, bedeutet die fortwährende Morphogenese belebter Existenz persönlich zu machen.


Die menschliche Bedingung - ein Leben im Zeitalter des Cortex

Mit formativer Dynamik meine ich die Fähigkeit des Organismus, seine erfahrenen motorischen Gestalten zu erkennen und neue motorische Verbindungen sowie eine synaptische Welt selbst kreierter menschlicher Gefühle, Gedanken und Erinnerungen zu entwickeln. Diese werden so Teil seines persönlichen Erfahrungsfeldes.  Diese persönliche somatische Welt, „Ich“ genannt, entwickelt sich über die Gesetzmäßigkeiten, wie Handlungen organisiert werden.  Sie ist eine Erzeugerin von Erfahrung, Denken, Gefühl und Bildern und so die Geschichte unserer Identität während unseres Lebens.
 Das Differenzieren somatischer Formen wird mehr und mehr vom Cortex und willentlichem muskulärem Einsatz gesteuert. Daher hat die Fähigkeit des Menschen, seine Übergänge in allen Lebensaltern zu beeinflussen, ein persönliches verhaltensbezogenes Erregungsfeld des Lebens kreiert, das nicht genetisch vorprogrammiert ist. Beim evolutionären Upgrade, das wir leben, geht es nicht darum, wie das Gehirn den Körper kontrolliert, sondern darum, wie es einen willentlichen Dialog zwischen Muskulatur, Hirnstamm und Cortex ins Leben gerufen hat.
Die Fähigkeit des Cortex zu reagieren, zu imaginieren, die Aktionsdauer neu zu organisieren, die Intensität seiner Erregung hinsichtlich eines bestimmten Zieles sowie neue Verbindungen und Erinnerungen zu schaffen, transzendiert die Kapazität des Hirnstamms und des Limbischen Systems.  Dies bedeutet, dass Verbindungen und Erinnerungendurch den Gebrauch willentlicher muskulärer und kortikaler Interaktion wieder aufgerufen und bearbeitet werden können.  Indem der Leib lernt eine Beziehung zu sich selbst zu schaffen und zu erinnern, das heißt  anatomische Strukturen zu bilden, die von Dauer sind, ist er dazu in der Lage, in Arbeit, Liebe und sexuellen Beziehungen eine menschliche Existenzsphäre zu kreieren.
Die Art und Weise, wie der Organismus willentlichen Einsatz gebraucht, um durch jedes Stadium menschlicher Existenz hindurch seine somatisch-emotionalen, kognitiven Übergänge zu beeinflussen, hat eine große Veränderung in der conditio humana gebracht.  Wir können beeinflussen, wie wir uns verhalten, fühlen und in Beziehung zu selbst und zu anderen sind.  Wir können die muskulären Verhaltensmuster "ent-sammeln" und neu sammeln und können lernen, die instinkthaften oder gewohnheitsmäßigen Verhaltensmuster - wie Kampf-Flucht, Verwirrung, Vermeidung, Hilflosigkeit, Niederlage oder Verzweiflung - zu beeinflussen.
Mit willentlichem muskulär-kortikalem Einsatz können wir nicht nur die besonders starken Strukturen von Angst oder Wut in vielen intimen Situationen neu organisieren, sondern wir können ebenfalls die ererbten unwillkürlichen Erregungspulse des Somas differenzieren. Der Gebrauch willentlichen muskulär-kortikalen Einsatzes, der unser Verhalten beeinflusst, gibt uns die persönliche Erfahrung von Befriedigung und Vitalität, wenn wir altern.  Willentliches Einverleiben unseres Einsatzes und unserer Erfahrung ist eine fortlaufende Schulung, die das Formen neuer Beziehungen und Erinnerungen durch den gesamten Zyklus unseres leibhaften Lebens hindurch fortführt
Viele Menschen suchen Hilfe, weil sie mit sich selbst in bestimmten Lebenssituationen nicht umgehen können.  Entweder befinden sie sich in einem somatischen Muster von Hilflosigkeit oder Resignation oder in der Hyperwachsamkeit von Schreck, und sie erfahren dabei den Verlust von Richtungoder die Unfähigkeit, ihre Arbeit, ihr Liebesleben und persönliche Sinngebung zufriedenstellend zu organisieren.  Es ist möglich, dass sie sich in einem Muster somatischer Rigidität - verbunden mit Gefühlen von Isolation - präsentieren. Es kann auch sein, dass ihre somatische Struktur komprimiert, verdichtet, zusammengekauert ist, verbunden mit Verzweiflung. Ihre Gebärden und Ausdrucksmuster sind übertrieben, gedämpft oder verdreht, so als ob sie sich wegdrehen und Kontakt vermeiden wollten, jedoch darin gefangen nach vorne schauen zu müssen.  Zu den ererbten Frustrationsmustern gehören Versteifen, Wegdrehen und Komprimieren sowie porös, diffus werden und der Drang zu verschmelzen.  Diese Verhaltensmuster werden begleitet von einem eingeschränkten Aktionsbereich sowie Empfindungen, Bildern, Gefühlen und Gedanken, die mit einer eingeschränkten und furchtsamen inneren Welt verbunden sind. Die Vitalität von Cortex und Bindegewebe im Körper wird gedämpft, ebenso wie der formative Prozess des Probens, Träumens und Imaginierens von Handlungsmöglichkeiten.  Die daraus resultierende Erfahrung ist ein völliger Verlust von Optimismus und Heiterkeit.
Wenn Menschen in einem solchen somatischen Zustand ihre emotionalen Haltungen, Ausdrucksmuster und Gebärden durch den Gebrauch von abgemessenem willentlichem muskulärem Einsatz deutlichermachen, beschäftigt sich sofort ihr Cortex mit dem Erstellen eines muskulären Modells und einer neuronalen Kartierung der Handlung. Wird die intensivierte muskulär-emotionale Haltung in abgemessenen Schritten ent-sammelt - um ein schnelles Desorganisieren und einen Verlust der Grenzen zu vermeiden - entwickelt der Cortex seine Fähigkeit zu willentlichem muskulärem Management.  Willentliche motorische Akte stimulieren den Cortex sich mit der Bearbeitung der ererbten Reflexorganisation zu beschäftigen und erlauben verschiedenen somatischen Formen aufzutauchen; zum Beispiel, weniger verdichtet oder weniger rigide zu sein oder rigider und weniger porös. Die wiederholte Praxis willentlicher Handlungen beeinflusst etablierte verhaltensbezogene, emotionale und kognitive Organisationen und erzeugt verändertes Verhalten, das in realen Lebenssituationen einzuüben ist.  Auf diese Weise „empowert“ sich der Organismus selbst und lässt eine neue Identität wachsen mit dem Mantra „Ich kann dies tun“. Die formative Praxis lässt eine Bibliothek neuer Erfahrungen entstehen, die ein persönliches Leben ausmachen.  Dies ist die formative Dynamik, die im Laufe der Zeit ein formatives Leben kreiert.


Eine leibhafte Existenz formen

Formative Psychologie ist ein pragmatischer Ansatz für das alltägliche Leben. Dieser schult einen Menschen darin, willentlichen muskulären Einsatz zu gebrauchen, um emotionale Strukturen, kortikale Vorstellungen und psychologische Vorstellungen zu beeinflussen, um ständig das eigene erwachsene Selbst innerhalb einer sich verändernden Welt zu formen. Nur wenige Menschen machen sich die Bedeutung des Satzes klar: „Anatomie ist Schicksal.“ Die meisten verstehen nicht, dass unsere emotionalen, sexuellen und kognitiven Verhaltensmuster vom ererbten Muster zu handeln abhängig sind, das den Bezugspunkt für unsere Erfahrungen mit unserem Verhalten bietet.  Die meisten von uns sind nicht in der Lage, die Realität zu begreifen, dass der Leib handelt, bevor er fühlt oder denkt.  In der Lage sein zu hemmen, zu planen oder eine Aktion auszuführen leugnet nicht die Tatsache, dass dies auf einem ererbten Reaktionsmuster beruht.  Der Impuls anzugreifen, sich zurück zu ziehen oder etwas loszuwerden, kommt ins Spiel ohne Gedanken oder Gefühl. Ist er einmal im Spiel, so ist es fast unmöglich ihn ohne erhebliche Übung zu hemmen.
In der Tat gibt es für eine Handlung nur wenig oder keine emotionale Begleitung, bis ein gewisser Level an muskulärer Intensität erreicht ist.  Nur dann werden Rachegefühle und -gedanken oder Siegesbilder auftauchen.  Wird der ererbte Reflex mit willentlichem muskulären Einsatz organisiert, kann sein muskuläres Muster differenziert werden, semi-poröser oder weniger intensiv gemacht werden.  Dies wiederum macht die willentliche Einflussnahme lohnender.  Willentlicher formativer Einsatz hat seine eigene Psychologie, seine eigene organisierende Dynamik und Zeit für die Entwicklung eines persönlichen einverleibten Lebens im Alltag. Dies kreiert eine persönliche somatisch-emotionale, kognitive Realität.
Die Praxis Formativer Psychologie ist ein Ansatz, der auf Erfahrung beruht, um emotional komplexe Situationen in Beziehungen und Lebensübergängen zu handhaben und zu differenzieren.  Es ist von dringlicher Wichtigkeit, willentlichen muskulären Einsatz zu üben, um die eigenen Reaktionen effektiver zu handhaben und um motorische Erinnerungen und deren Assoziationen anzusammeln - und dies durch den gesamten Existenzzyklus hindurch, der das eigene erwachsene Lebensfeld organisiert. Menschen, die damit beschäftigt sind, mit willentlichem muskulär-kortikalem Einsatz zu arbeiten, um Verhaltensmuster wie mit Entschiedenheit voran zu gehenoder ein Rückzugsmuster aufzurufen zu mobilisieren, können willentlich-muskulären Einsatz gebrauchen. Auf diese Weise schaffen sie ein muskuläres Modell, das ebenfalls eine neuronale Kartierung organisiert. Das Modell kann willentlich durch sorgfältigen kortikalen Einsatz ent-sammelt werden, indem die eigene Anatomie verändert und das Feld der Möglichkeiten für willentliche Aktion erweitert wird.  Dieses differenzierte muskulär-kortikale Muster wird zu einem neuen Bezugspunkt für verändertes Verhalten. Durch das Bilden eines muskulären Modells, das ein emotionales Ausdrucksmuster ist, lernt der Mensch sich selbst leiblich zu gebrauchen. So erlangt er ein Wissen, das auf Erfahrung beruht, ein Wissen darum, wie die Weise zu handeln, zu fühlen und zu denken verändert werden kann und wie er sich selbst anderszu gebrauchen vermag, ohne in bestimmten Situationen überwältigt oder verwirrt zu werden.
Willentlicher muskulärer Einsatz, der ein muskuläres Muster nachahmt oder intensiviert, erlaubt dem Cortex die Unterstützung des Abbaus übermäßiger Spannung.  Diese Folge von muskulären Einsätzen wird der Kette erinnerter willentlicher Handlungen hinzugefügt.  Wenn zum Beispiel ein schützendes Muster von Haltgeben darin besteht unseren Körper zusammenpressen, können wir von unserem willentlichen Einsatz lernen, wie viel wir übermäßig pressen und wie wir Schichten von Haltgeben bilden können, die uns keinen Schaden zufügen und uns nicht überwältigen.  Willentlicher muskulärer Einsatz hilft uns, einen persönlichen Stil zu erlernen, etwa wie wir ein anatomisch-emotionales kognitives Verhaltensmuster organisieren unddesorganisieren, das dem Organismus hilft, eine Beziehung mit sich selbst zu unterhalten.  Innerhalb dieser Beziehung vermager auf seine Kreativität zu antworten und eine persönliche leibhafte Existenz zu formen.
Willentlichen muskulären Einsatz in Bezug auf sich selbst gebrauchen bedeutet das eigene Selbst zu berühren, Verbindungen in sich selbst herzustellen und einen Kontakt mit dem eigenen leiblichen Selbst zu entwickeln und um dieses zu wissen. Die Entwicklung willentlichen muskulären Einsatzes zu lernen wird im Laufe der Zeit der Schlüssel zur Beeinflussung unseres instinktbedingten und gewohnheitsmäßigen Verhaltens. Dagegen besteht willentlicher muskulärer Einsatz aus viel mehr als dem Hemmen oder dem Differenzieren einer Handlung oder Emotion.  Willentlicher muskulärer Einsatz entwickelt ebenfalls Abstufungen verhaltensabhängiger zeitlicher Rahmen und Schichten somatischer Formen, die zu einem dicken Labyrinth von Verbindungen zwischen reichen Erinnerungsstrukturen werden, welche als Quelle gefühlter Zufriedenheit und Weisheit wirken.
 

Schluss: E-mailaustausch  mit einem Klienten

Lieber Stanley,
Die Verkörperungsübung verschafft mir neue Erfahrungen über eine Welt in mir, die ich als größer und tiefer erfahre, als diejenige über die ich üblicherweise verfüge.  Wenn ich abgemessene muskuläre Kraft auf der Oberfläche meines Körpers einsetze, taucht ein tiefer geschichteter Ozean in mir auf, der größer ist als ich selbst.  Ich merke mehr und mehr, wie willentlicher Einsatz mich lebendig macht und mir weitere Möglichkeiten gibt, persönlicher leiblich in der Welt, als personalisiertes „Ich“, das seine Erfahrungen einverleibt hat präsent zu sein.  Der Einsatz, den ich gebrauche, um meinen Erfahrungen einen Leib zu geben, gibt mir die Verbindung eines "Ich" zu einem erinnerten "Ich".  Die Arbeit mit mir selbst formt ein Feld lebendigen Friedens und gibt mir die Zuversicht, dass ich in der Lage bin, mir selbst dabei zu helfen, ein persönliches Selbst innerhalb von mir zu bilden, auch wenn es in kleinen Schritten erfolgt.  Ein leibliches Leben zu führen erfordert Arbeit, Stanley, aber es ist besser als ein Opfer von Emotion und Erregung fortgespült zu werden.

Lieber A,
wir beginnen uns von dort her zu entwickeln, wo wir uns gerade befinden und kreieren unsere somatische Zukunft. Es gehört zur menschlichen Natur ständig eine Zukunft zu organisieren.  Dies ist eine persönliche Wahrheit, seit wir aufrecht stehen und begonnen haben über einen Horizont zu verfügen.  Manchmal braucht es einen Leben lang um uns darauf vorzubereiten einen Aspekt unserer somatischen Natur - die wir leben oder von der wir ständig träumen, ohne es zu wissen - zu entwickeln oder zu formen. Der Leib formt und differenziert seine grundlegenden ererbten Gaben weiter – das ist die Arbeitsgrundlage von Kortex und muskulärem Einsatz.  Jede Person braucht eine willentliche Praxis, die jene muskulär-kortikale Interaktion pflegt, die einen eigenen Lebensstil kreiert und ihm Leib undForm gibt.  Der Leib ist Urheber des formativen Prozesses, ein Künstler, der mit willentlichem muskulärem Einsatz einen zweiten Erwachsenen bildet, der wiederum Urheber des formativen Prozesses ist.  Wir können alle Künstler sein und einen zweiten Erwachsenen bilden - auch mit 75 Jahren - wenn wir uns langsam bewegend neue Handlungen und Empfindungen kreieren, die eine neue Welt formen.  Die Arbeit mit willentlichem muskulären Einsatz formt einen inneren somatischen Garten, der mit jeden Herausforderungen die eine Anpassung an das Lebensalter unseres Leibes mit sich bringt, umgehen kann.  Das ist es, was es heißt, ein leibhaftes Leben zu führen, das gegründet ist auf unserem willentlichen Einsatz. Im Laufe unseres Lebens erhalten wir alle die Gelegenheit, ein solches zu formen.  
Jedoch wissen nur wenige von uns, wie sie an der Formgebung unserer Gewebe und der inneren organisierenden pulsatorischen Wellen unseres Organismus -die uns mit dem weiten Ozean des Lebens sowohl in uns als auch um uns herum verbinden-teilnehmen können, ohne unsere persönlich geformte Identität zu verlieren.  Willentlicher muskulärer Einsatz ist ein mächtiges Werkzeug um das Mysterium unserer Erregung kennen zu lernen – der Ebbe und Flut, die uns dabei helfen, sowohl in den Wellen der Biosphäre unserer Erde zu leben, als auch in den Wellen der Gesellschaft und der Familie. Willentlicher muskulär-kortikaler Einsatz verbindet den Organismus mit seinen eigenen pulsatorischen Mustern, die sein vielschichtiges Leben formen.  Es ist der Königsweg zu einem freundlicheren leibhaften Leben.


Übersetzung: Dr Irène Kummer, Carola Butscheid
Englische Version in: International Body Psychotherapy Journal The Art and Science of Somatic Praxis  Volume 11, Number 1, 2012 pp 51-56. ISSN 2168-1279

 

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